Stolpersteinverlegung 20. April 2018

Pannofenstraße 12

Beitrag zur Stolpersteinverlegung für das Ehepaar Cohen
Michael Meuten

Vor 25 Jahren kaufte ich ein Buch mit dem Titel „Anne Frank war nicht allein“. Es erzählt 27 Lebensgeschichten von deutschen Juden in den Niederlanden. Ihnen gemeinsam ist, dass sie die nationalsozialistische Verfolgung überlebt hatten und davon berichten konnten. Das war dem deutsch-niederländischen Ehepaar Cohen nicht vergönnt gewesen. Sie wurden 1942 im Vernichtungslager Ausschwitz umgebracht.

Wir wissen nicht viel über die Familie. Louise Cohen, geborene Dessau, wurde 1876 in Hamburg geboren, wo sie bis zu ihrer Eheschließung mit Louis Simon Cohen lebte. Wie sie ihren ein Jahr älteren niederländischen Ehemann, der aus Arnheim stammte, kennenlernte, wissen wir auch nicht. In Arnheim wurde 1908 ihr Sohn Herman geboren. Vor dem Ersten Weltkrieg kamen sie nach Kleve, wo Louis Simon Cohen bei „van den Bergh’s Margarine-Werke“ arbeitete. Er war dort Aufseher und wahrscheinlich bei der Produktion von „Tomor“, einer koscheren Margarine, eingesetzt. Etwa 1935 verließen sie Kleve, zogen in die Niederlande und lebten zuletzt in Arnheim.

Nach der deutschen Besetzung 1940 waren die Niederlande kein sicherer Zufluchtsort mehr für Juden. Nach einer anfänglichen, kurzen Zeit der Zurückhaltung der deutschen Besatzer setzte auch dort die immer stärker werdende Verfolgung der Juden ein. Eine weitere Flucht war nahezu unmöglich. Ein sicheres Versteck zu finden und unterzutauchen war sehr schwierig ; man war auf die Hilfs- und Risikobereitschaft anderer angewiesen und lebte in ständiger Angst, entdeckt zu werden.
Haben die Cohens – sie waren damals bereits Mitte sechzig – über diese Möglichkeit nachgedacht? Wie haben sie die sich häufenden Verbote – Abgabe von Radio und Fahrrädern, kein Besuch öffentlicher Veranstaltungen – und die zunehmende Isolierung erlebt? Auch das wissen wir nicht.
Die vorletzte Station ihres Lebens war das Konzentrationslager Westerbork. Ein Schicksal, das sie mit anderen Familien, für die wir heute Stolpersteine verlegen, teilen. Was war Westerbork für ein Lager? Ein abgeschiedener Ort in Drenthe. Errichtet ursprünglich als Auffanglanger für geflüchtete Juden aus Deutschland, wurde Westerbork von den Nazis umfunktioniert als Durchgangslager für Deportation der in den Niederlanden lebenden Juden.
Anne Frank war mit ihrer Familie dort. Der Klever Chanoch Mandelbaum, für dessen Familie wir bei der vorletzten Verlegung Stolpersteine verlegt haben und der in Jerusalem in zwei Monaten hoffentlich seinen 95. Geburtstag feiern kann. Und Eva Weyl, die heute bei uns ist. Sie, die dort mit ihren Eltern einen Teil ihrer Kindheit verbringen musste, hat das Lager als „schönen Schein“ bezeichnet und berichtet davon in Vorträgen vor Schulklassen. Dort gab es keine Gewaltexzesse , die Menschen arbeiteten und gingen zur Schule. Ein scheinbar normales Leben.
Aber alle hatten eine furchtbare Angst vor dem Abend, an dem die Namen bekannt gegeben wurden, die auf der Transportliste für den Zug standen, der jeden Dienstag nach dem Osten fuhr.

Am 24.11.1942 wurden auch Louise und Louis Simon Cohen von Westerbork nach Auschwitz deportiert. Dort wurden sie am 27.11.1942, einen Tag nach ihrer Ankunft, ermordet.
Auch ihr Sohn Herman ist mit seiner Frau Riekchen und dem 1939 geborenen Sohn Daniel Meyer ein halbes Jahr später über Westerbork deportiert und dann im Konzentrationlager Sobibor getötet worden.

Infoflyer zum Download: MifgashStolper_Cohen-Schaap20.04.2018

Pannofenstraße – Nähe Nr. 5

Beitrag zur Verlegung der Stolpersteine für die Familie Schaap
Helga Ullrich-Scheyda

Die niederländische Familie Schaap zog 1919 nach Kleve, weil Maurits Schaap bei den Clivia Oelwerken, einem Betrieb der van den Berghschen Margarine-Werke beschäftigt war. Er war dort Betriebsleiter.
Der Anteil von Juden mit niederländischer Staatsangehörigkeit war in Kleve relativ hoch. Dies hing mit der Grenznähe und den traditionell guten Kontakten über die Grenze hinweg zusammen, aber auch mit der 1888 von dem niederländischen Juden Simon van den Bergh gegründeten Margarinefabrik, die niederländische und darunter eben auch jüdische Arbeitskräfte anzog.

Seit Maurits Schaap in Kleve wohnte, war er beim VfB 03 Kleve aktiv.
Dies war sicher kein Zufall. Denn dieser Sportverein war als Verein der Margarinefabrik van den Bergh gegründet worden, weswegen er auch „de Botter“ genannt wurde.
Und es war ein Verein, in dem sich offensichtlich auch jüdische Mitglieder wohlfühlten. Es gab einige jüdische Vorstandsmitglieder, die den Verein besonders förderten und unterstützten und auch Maurits Schaap war noch Anfang der 1930er Jahre im Vorstand des VfB tätig.
Die beiden älteren Söhne Emanuel und Max besuchten das Klever Gymnasium und machten dann eine kaufmännische Ausbildung bei Weyl (später Tietz) und Gonsenheimer – zwei Kaufhäusern in jüdischem Besitz.
Der jüngste Sohn Alfred wurde in Kleve geboren.
Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft verschlechterte sich die berufliche Situation der meisten Juden in Kleve schnell. Es kam zu Entlassungen, Boykottmaßnahmen und Berufsverboten. Emanuel und Max Meyer Schaap verloren ihre Arbeitsplätze schon 1933 – nach der Arisierung der Kaufhäuser Tietz und Gonsenheimer.
Die Klever Margarinewerke, die 1929 im Unilever-Konzern aufgegangen waren, verhielten sich demgegenüber anders. Sie beschäftigten ihre jüdischen Mitarbeiter so lange, wie es von staatlicher Seite erlaubt war. Zwar zog die Familie Schaap schon 1933 nach Nimwegen, um den antisemitischen Angriffen zu entgehen und den Söhnen eine berufliche Existenz zu ermöglichen, aber Maurits Schaap blieb als Pendler noch bis 1935 in Kleve tätig. Danach bezog er monatliche Geldzuwendungen der Margarinewerke und als diese Geldzahlungen Ende 1938 nicht mehr möglich waren, erhielt er eine Anstellung in einem Ölwerk des Unilever Konzerns in den Niederlanden.

Maurits Schaap war hier kein Einzelfall. Es gibt weitere Hinweise, die dieses Verhalten des Unilever-Konzerns belegen. Zum Beispiel organisierte Unilever für einen jüdischen Mitarbeiter aus Goch einen Stellentausch mit einem Angestellten aus Rotterdam.
Vor diesem Hintergrund soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Unilever-Konzern die heutige Stolpersteinverlegung mit einer großzügigen Spende unterstützt.

Nach der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 holte die nationalsozialistische Verfolgung die Familie Schaap wieder ein.
Rachel und Maurits Schaap wurden am 13. April 1943 über Westerbork nach Sobibor deportiert, ihr jüngster Sohn Alfred war bereits am 1. August 1942 nach Auschwitz verbracht worden. Sie wurden ermordet.

Nur die beiden älteren Söhne überlebten, weil es ihren gelang, ein Versteck zu finden. Sie hatten das Glück, auf Menschen zu treffen, die sie trotz der großen Gefahr mit dem Lebensnotwendigsten versorgten, und auf Nachbarn, die sie nicht verrieten.
Über das Leben von Max Meyer Schaap in der Illegalität gibt es ein paar Informationen. Seit September 1942 hielt er sich in einem kleinen Dachzimmer in Arnheim auf, von dem aus er bei akuter Entdeckungsgefahr in ein kleines Schlupfloch kriechen konnte.
Eine Frau versorgte ihn mit Lebensmitteln und als er ernstlich erkrankte, gab es einen Internisten, der mehrmals in der Woche zu ihm kam, um ihn zu behandeln.
Als Arnheim im September 1944 evakuiert wurde, musste Max Meyer Schaap sein Versteck verlassen. Zu Fuss durchquerte er das Land, bis es im gelang in der Provinz Groningen einen neuen Unterschlupf zu finden, wo er seine Befreiung erlebte.

Die Anzahl der Juden, die wie die Brüder Schaap untergetauchten, ist kaum zu ermitteln. Man nimmt an, dass es etwa 28 000 Juden waren, von denen etwas mehr als 16 000 überlebten.
Von den 140 000 Juden, die 1940 in den Niederlanden gelebt hatten, wurden etwa 107 000 Opfer der antisemitischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik – mehr als 75 %.

Bemerkenswert ist, dass Emanuel Schaap bereits Anfang der 1950er Jahre nach Kleve zurückkehrte, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen.
Er kehrte hierhin zurück, an den Ort, an dem er bis 1933 mit seiner Familie gelebt hatte.
Zunächst nahm ihn ein früherer Nachbar in der Meißnerstraße auf, dann hatte er eine Unterkunft in der Pannofenstr. 2.
Seit 1955 betrieb er in Kellen die Firma Schaap E.M.&Co. Holländischer Deckenhandel.
Anfang der 1960er Jahre verzog er nach Düsseldorf, später nach Mannheim.
1989 war er unter den jüdischen Gästen, die Kleve auf offizielle Einladung der Stadt besuchten.

Herzogstraße 1

Infoflyer zu den Familien: MifgashStolper_Wolff-Kaufmann20.04.2018

Bahnhofstraße 21

 

Dr. Max Wolff

Helene Wolff

Elfriede Wolff

Abschlussveranstaltung im projektraum-bahnhof25.de

 

Der Ablauf:

9.00 Uhr Pannofenstraße 12
Begrüßung durch Ron Manheim
1. Vorsitzender des Vereins „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash e.V.“
Stolpersteine für die Familie Cohen
mit Beitrag von Michael Meuten
9.15 Uhr Nähe Pannofenstraße 5
Stolpersteine für die Familie Schaap
mit Beitrag von Helga Ullrich-Scheyda
9.45 Uhr Herzogstraße 1
Stolpersteine für die Familie Kaufmann
mit Beiträgen von Fachoberschülern und angehenden Erziehern
des Berufskollegs Kleve
10.10 Uhr Bahnhofstraße 21
Stolpersteine für die Familie Wolff
mit Beiträgen von Referendaren des Zentrums
für schulpraktische Lehramtsausbildung – Fachseminar Geschichte
10.30 Uhr Abschlussveranstaltung im projektraum-bahnhof25.de (Bahnhofstraße 25)
Grußwort der Bürgermeisterin Sonja Northing

Kurzvortrag „Der Bahnhof in nationalsozialistischer Zeit“
Helga Ullrich-Scheyda
Das Streichquartett Monika Lensing, Thomas Ruffmann, Verena Krauledat,
Eva Maria Staudenmaier spielt
Felix Mendelssohn, Streichquartett Nr. 2 a-moll, op. 13, Adagio non lento
Bryce Dessner, A little Blue Something aus dem Zyklus „Aheym“