Anna Adelheid Neugeboren geb. Cosman
Jacob Kurt Neugeboren
Liselotte Neugeboren
Hanna Neugeboren
Die Familie Cosman war eine alteingesessene Klever Familie, die seit dem zum Beginn der 1730er Jahre hier in Kleve nachweisbar ist.
Jacob Cosman wurde 1817 in Kleve geboren. 1858 hatte er eine lithographische und photographische Anstalt auf der Kirchstraße in der Nähe des Fischmarkts gegründet. (heute Kirchstr. 3).
Zwei seiner Kinder – Siegfried Cosman und Dorothea Ballizany – lebten mit ihren Familien noch in der NS-Zeit in Kleve.
Auch sie hatten lange Jahre ihren Lebensmittelpunkt am Fischmarkt.
Wilhelm Ballizany – der evangelische Ehemann von Dorothea Ballizany – hatte das Fotoatelier seines Schwiegervaters weitergeführt. Auch ihre Wohnung befand sich in diesem Haus.
Siegfried Cosman hatte 1880 das Galanteriewaren-Geschäft seiner Tante Susanne Cosman in der Nähe der evangelischen Kirche (heute Große Str. 65) übernommen und zu einem Kurz- Weiß- und Wollwarengeschäft erweitert. Er heiratete, sechs Kinder wurden geboren. 1897 konnte die Familie in das von ihm hier an dieser Stelle errichtete Wohn- und Geschäftshaus umziehen.
Nachdem Siegfried Cosman und die Eheleute Ballizany sich zur Ruhe gesetzt hatten, wohnten sie zusammen in der Kasinostr. 2.
Das Geschäft hatte Siegfried Cosman an seine älteste Tochter Anna und deren Ehemann Jakob Kurt Neugeboren übergeben. Jakob Neugeboren war 1874 in der bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörenden Slowakei geboren. Daher erhielt auch Anna Cosman nach der Eheschließung die slowakische Staatsangehörigkeit.
Mit Tochter Liselotte stand schon die nächste Generation für die Geschäftsführung bereit.
Aber dann kam alles ganz anders.
Mit der sogenannten „Machtergreifung“ begannen die Maßnahmen gegen die jüdischen Mitbürger. Schon 1933 rückte die Familie Cosman-Ballizany-Neugeboren in dem Haus am Fischmarkt wieder enger zusammen. Hier starb Siegfried Cosman 1935 im Alter von 80 Jahren. 1936 mussten Anna und Jakob Neugeboren ihr Geschäft verpachten, die Familie musste das Haus verlassen. 1940 folgte der Zwangsverkauf. Den Töchtern Liselotte und Hanna gelang die Flucht nach Palästina.
Die Eheleute Neugeboren und Ballizany kamen 1939 im Haus des jüdischen Viehhändlers Gustav Rothschild unter. Ende 1941 folgte der Zwangsumzug in das sogenannte „Judenhaus“ am Spoykanal. Mit dem Tod von Wilhelm Ballizany 1942 verlor seine Witwe den letzten Schutz, den ihr der, wie es hieß, „arische“ Ehemann noch hatte geben können.
Anna und Jakob Neugeboren waren durch ihre slowakische Staatsangehörigkeit zunächst vor der Deportation geschützt.
Im November 1943 spielte dies allerdings keine Rolle mehr.
Über das was dann geschah, gibt die Gestapo-Akte von Jacob Kurt Neugeboren bedrückend klare Auskunft.
Gestapo Düsseldorf an das Grenzkommissariat in Kleve 15. November 1943
Das in Kleve Klosterstraße 2 wohnhafte jüdische Ehepaar Neugeboren ist festzunehmen und mittels Sammeltransport dem Altersgetto Theresienstadt zu überstellen. Das eventuell vorhandene Vermögen ist sicherzustellen. Die Juden können das übliche Evakuierungsgepäck und 50 Reichsmark, die einzuziehen und an das Getto Theresienstadt abzugeben sind, mitführen. Die Betreffenden sind von einer Evakuierung vorher nicht zu verständigen.
Fernschreiben des Grenzkommissariat Kleve an die Gestapo Düsseldorf 20. November 1943
Die im hiesigen Bericht vom 13.Juli 1943 aufgeführte Jüdin Dorothea Sara Ballizany ist eine Tante der jüdischen Ehefrau Neugeboren und in deren Haushalt aufgenommen. Sie ist auch heute noch bettlägerig krank und fast erblindet. Sie ist auf die Hilfe ihrer Nichte, der jüdischen Ehefrau Neugeboren, angewiesen. Es wird um umgehende Mitteilung gebeten, welche Maßnahmen gegen die Ballizany nach der Festnahme des jüdischen Ehepaares Neugeboren ergriffen werden sollen.
Grenzkommissariat Kleve an den Herrn Vorsteher der Strafanstalt in Kleve 22. November 1943
Die nachstehend aufgeführten Juden werden am Freitag den 26. November 1943 in die dortige Anstalt eingeliefert, um am Samstag den 27. November 1943 mittels Sammeltransport in das Altersghetto nach Theresienstadt überführt zu werden.
Witwe Dorothea Sara Ballizany
Jakob Neugeboren
Anna Neugeboren
Grenzkommissariat Kleve an den Herrn Bürgermeister der Ortspolizeibehörde – Transportabteilung 23. November 1943
Es wird gebeten die nachstehend aufgeführten Juden mittels Sammeltransport am Samstag den 27.11.1943 in das Altersghetto nach Theresienstadt zu überführen. Sie werden deshalb am Freitag den 26. November 1943 in die hiesige Haftanstalt eingeliefert.
Staatliches Gesundheitsamt des Kreises Kleve Amtsärztliche Bescheinigungen vom 26.11.1943
Herr Neugeboren ist transportfähig.
Frau Neugeboren ist transportfähig.
Frau Ballizany ist 86 Jahre alt, sehr gebrechlich und blind. Sie ist für weitere Transporte als nicht reisefähig anzusprechen.
Das nächste Schreiben in der Gestapo-Akte von Jakob Neugeboren kam aus Prag.
Gestapo Prag Gefängnis Prag Pankratz an das Altersgetto in Theresienstadt und die Ortspolizeibehörde in Kleve 16. Dezember 1943
betrifft: Meldung über einen verstorbenen Häftling
Jude Neugeboren Jakob wurde von der Ortspolizeibehörde in Kleve nach dem Altersgetto in Theresienstadt transportiert. Auf dem Transport musste der Jude Neugeboren am 15.12.1943 in das Polizeigefängnis eingeliefert werden, wo er am 16.12.1943 um 4:00 Uhr an Herzschwäche verstorben ist. Die Leiche wird nach dem städtischen Krematorium zur Einäscherung überführt.
Jakob Neugeboren starb kurz vor seinem 70. Geburtstag.
Anna Neugeboren kam am gleichen Tag mit einem Einzeltransport im Ghetto Theresienstadt an.
Noch monatelang beschäftigten sich die Behörden mit dem in Kleve verbliebenen – wenigen – Besitz der Familie.
Gestapo Düsseldorf an das Grenzkommissariat Kleve 6. Januar 1944
Um einer durch den dortigen Bürgermeister beim Oberfinanzpräsidenten in Düsseldorf angestrebten Freimachung der Wohnräume, der nach Theresienstadt evakuierten Juden slowakischer Staatsangehörigkeit Neugeboren zu entsprechen, wird gebeten, für eine Unterstellung des hinterlassenen Mobiliars in einem Raum Sorge zu tragen. Hinsichtlich der Verwertung der Vermögenswerte ausländischer jüdischer Staatsangehöriger wird beim Reichssicherheitshauptamt von hier die Entscheidung eingeholt.
Vermerk des Grenzkommissariats Kleve 17. Januar 1944
Mit dem Vermögensverwalter des sichergestellten Mobiliars, Herrn Brodowski vom Finanzamt Kleve wurde Rücksprache genommen. Es ist inzwischen die Wohnung der Frau Neugeboren geräumt und wieder vermietet worden. Die Möbel wurden in einem anderen Raum untergebracht
Grenzkommissariat Kleve an die Gestapo Köln 9. März 1944
betrifft die Behandlung von Vermögenswerten evakuierter Juden ausländischer Staatsangehörigkeit Da die jüdischen Eheleute Neugeboren die slowakische Staatsangehörigkeit besitzen, wird gebeten im Namen der hiesigen Dienststelle, das in Köln Volksgartenstr. 64 befindliche slowakische Konsulat zu benachrichtigen, dass das hier in Kleve lagernde Wohnungsinventar der Eheleute Neugeboren versteigert werden soll. Gemäß Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 17.2 1944 ist hierzu das Einverständnis des zuständigen ausländischen Konsulats erforderlich. Es wird um fernschriftliche Mitteilung gebeten, ob das slowakische Konsulat mit der Versteigerung des Inventars einverstanden ist. Der Versteigerungserlös würde dann nach Abzug der entstandenen Unkosten an das dortige Konsulat überwiesen.
Der Kontakt mit den slowakischen Vertretungen in Deutschland gestaltete sich aufgrund der Kriegswirren und der langen Entscheidungswege auf slowakischer Seite als sehr schwierig.
So lautet das letzte Schreiben in der Gestapo-Akte:
Slowakische Gesandtschaft Berlin an das Grenzkommissariat Kleve über die Gestapo Köln 9. Mai 1944
Das slowakische Konsulat in Köln hat zuständigkeitshalber der hiesigen Gesandtschaft Ihr Schreiben vom 15. April 1944 betreffend Versteigerung des in Kleve lagernden Wohnungsinventars der jüdischen slowakischen Eheleute Jacob und Anna Neugeboren weitergeleitet. Die slowakische Gesandtschaft wird sofort nach Eingang der Zustimmung des Außenministeriums in Bratislava zu dieser Versteigerung die Antwort an die Gestapo Köln mitteilen.
Anna Neugeboren wurde am 9. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert und ermordet. Sie wurde 60 Jahre alt.
Von Dorothea Ballizany fehlt seit ihrem Abtransport aus Kleve jede Spur.