Stolpersteinverlegung am 10. Juli 2017

Große Straße 90

Anna Adelheid Neugeboren geb. Cosman
Jacob Kurt Neugeboren
Liselotte Neugeboren
Hanna Neugeboren

Die Familie Cosman war eine alteingesessene Klever Familie, die seit dem zum Beginn der 1730er Jahre hier in Kleve nachweisbar ist.
Jacob Cosman wurde 1817 in Kleve geboren. 1858 hatte er eine lithographische und photographische Anstalt auf der Kirchstraße in der Nähe des Fischmarkts gegründet. (heute Kirchstr. 3).
Zwei seiner Kinder – Siegfried Cosman und Dorothea Ballizany – lebten mit ihren Familien noch in der NS-Zeit in Kleve.
Auch sie hatten lange Jahre ihren Lebensmittelpunkt am Fischmarkt.
Wilhelm Ballizany – der evangelische Ehemann von Dorothea Ballizany – hatte das Fotoatelier seines Schwiegervaters weitergeführt. Auch ihre Wohnung befand sich in diesem Haus.
Siegfried Cosman hatte 1880 das Galanteriewaren-Geschäft seiner Tante Susanne Cosman in der Nähe der evangelischen Kirche (heute Große Str. 65) übernommen und zu einem Kurz- Weiß- und Wollwarengeschäft erweitert. Er heiratete, sechs Kinder wurden geboren. 1897 konnte die Familie in das von ihm hier an dieser Stelle errichtete Wohn- und Geschäftshaus umziehen.
Nachdem Siegfried Cosman und die Eheleute Ballizany sich zur Ruhe gesetzt hatten, wohnten sie zusammen in der Kasinostr. 2.
Das Geschäft hatte Siegfried Cosman an seine älteste Tochter Anna und deren Ehemann Jakob Kurt Neugeboren übergeben. Jakob Neugeboren war 1874 in der bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörenden Slowakei geboren. Daher erhielt auch Anna Cosman nach der Eheschließung die slowakische Staatsangehörigkeit.
Mit Tochter Liselotte stand schon die nächste Generation für die Geschäftsführung bereit.
Aber dann kam alles ganz anders.
Mit der sogenannten „Machtergreifung“ begannen die Maßnahmen gegen die jüdischen Mitbürger. Schon 1933 rückte die Familie Cosman-Ballizany-Neugeboren in dem Haus am Fischmarkt wieder enger zusammen. Hier starb Siegfried Cosman 1935 im Alter von 80 Jahren. 1936 mussten Anna und Jakob Neugeboren ihr Geschäft verpachten, die Familie musste das Haus verlassen. 1940 folgte der Zwangsverkauf. Den Töchtern Liselotte und Hanna gelang die Flucht nach Palästina.
Die Eheleute Neugeboren und Ballizany kamen 1939 im Haus des jüdischen Viehhändlers Gustav Rothschild unter. Ende 1941 folgte der Zwangsumzug in das sogenannte „Judenhaus“ am Spoykanal. Mit dem Tod von Wilhelm Ballizany 1942 verlor seine Witwe den letzten Schutz, den ihr der, wie es hieß, „arische“ Ehemann noch hatte geben können.
Anna und Jakob Neugeboren waren durch ihre slowakische Staatsangehörigkeit zunächst vor der Deportation geschützt.
Im November 1943 spielte dies allerdings keine Rolle mehr.
Über das was dann geschah, gibt die Gestapo-Akte von Jacob Kurt Neugeboren bedrückend klare Auskunft.

Gestapo Düsseldorf an das Grenzkommissariat in Kleve 15. November 1943
Das in Kleve Klosterstraße 2 wohnhafte jüdische Ehepaar Neugeboren ist festzunehmen und mittels Sammeltransport dem Altersgetto Theresienstadt zu überstellen. Das eventuell vorhandene Vermögen ist sicherzustellen. Die Juden können das übliche Evakuierungsgepäck und 50 Reichsmark, die einzuziehen und an das Getto Theresienstadt abzugeben sind, mitführen. Die Betreffenden sind von einer Evakuierung vorher nicht zu verständigen.

Fernschreiben des Grenzkommissariat Kleve an die Gestapo Düsseldorf 20. November 1943
Die im hiesigen Bericht vom 13.Juli 1943 aufgeführte Jüdin Dorothea Sara Ballizany ist eine Tante der jüdischen Ehefrau Neugeboren und in deren Haushalt aufgenommen. Sie ist auch heute noch bettlägerig krank und fast erblindet. Sie ist auf die Hilfe ihrer Nichte, der jüdischen Ehefrau Neugeboren, angewiesen. Es wird um umgehende Mitteilung gebeten, welche Maßnahmen gegen die Ballizany nach der Festnahme des jüdischen Ehepaares Neugeboren ergriffen werden sollen.

Grenzkommissariat Kleve an den Herrn Vorsteher der Strafanstalt in Kleve 22. November 1943
Die nachstehend aufgeführten Juden werden am Freitag den 26. November 1943 in die dortige Anstalt eingeliefert, um am Samstag den 27. November 1943 mittels Sammeltransport in das Altersghetto nach Theresienstadt überführt zu werden.
Witwe Dorothea Sara Ballizany
Jakob Neugeboren
Anna Neugeboren

Grenzkommissariat Kleve an den Herrn Bürgermeister der Ortspolizeibehörde – Transportabteilung 23. November 1943
Es wird gebeten die nachstehend aufgeführten Juden mittels Sammeltransport am Samstag den 27.11.1943 in das Altersghetto nach Theresienstadt zu überführen. Sie werden deshalb am Freitag den 26. November 1943 in die hiesige Haftanstalt eingeliefert.

Staatliches Gesundheitsamt des Kreises Kleve Amtsärztliche Bescheinigungen vom 26.11.1943
Herr Neugeboren ist transportfähig.
Frau Neugeboren ist transportfähig.
Frau Ballizany ist 86 Jahre alt, sehr gebrechlich und blind. Sie ist für weitere Transporte als nicht reisefähig anzusprechen.

Das nächste Schreiben in der Gestapo-Akte von Jakob Neugeboren kam aus Prag.
Gestapo Prag Gefängnis Prag Pankratz an das Altersgetto in Theresienstadt und die Ortspolizeibehörde in Kleve 16. Dezember 1943

betrifft: Meldung über einen verstorbenen Häftling
Jude Neugeboren Jakob wurde von der Ortspolizeibehörde in Kleve nach dem Altersgetto in Theresienstadt transportiert. Auf dem Transport musste der Jude Neugeboren am 15.12.1943 in das Polizeigefängnis eingeliefert werden, wo er am 16.12.1943 um 4:00 Uhr an Herzschwäche verstorben ist. Die Leiche wird nach dem städtischen Krematorium zur Einäscherung überführt.

Jakob Neugeboren starb kurz vor seinem 70. Geburtstag.
Anna Neugeboren kam am gleichen Tag mit einem Einzeltransport im Ghetto Theresienstadt an.

Noch monatelang beschäftigten sich die Behörden mit dem in Kleve verbliebenen – wenigen – Besitz der Familie.

Gestapo Düsseldorf an das Grenzkommissariat Kleve 6. Januar 1944
Um einer durch den dortigen Bürgermeister beim Oberfinanzpräsidenten in Düsseldorf angestrebten Freimachung der Wohnräume, der nach Theresienstadt evakuierten Juden slowakischer Staatsangehörigkeit Neugeboren zu entsprechen, wird gebeten, für eine Unterstellung des hinterlassenen Mobiliars in einem Raum Sorge zu tragen. Hinsichtlich der Verwertung der Vermögenswerte ausländischer jüdischer Staatsangehöriger wird beim Reichssicherheitshauptamt von hier die Entscheidung eingeholt.

Vermerk des Grenzkommissariats Kleve 17. Januar 1944
Mit dem Vermögensverwalter des sichergestellten Mobiliars, Herrn Brodowski vom Finanzamt Kleve wurde Rücksprache genommen. Es ist inzwischen die Wohnung der Frau Neugeboren geräumt und wieder vermietet worden. Die Möbel wurden in einem anderen Raum untergebracht
Grenzkommissariat Kleve an die Gestapo Köln 9. März 1944
betrifft die Behandlung von Vermögenswerten evakuierter Juden ausländischer Staatsangehörigkeit Da die jüdischen Eheleute Neugeboren die slowakische Staatsangehörigkeit besitzen, wird gebeten im Namen der hiesigen Dienststelle, das in Köln Volksgartenstr. 64 befindliche slowakische Konsulat zu benachrichtigen, dass das hier in Kleve lagernde Wohnungsinventar der Eheleute Neugeboren versteigert werden soll. Gemäß Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 17.2 1944 ist hierzu das Einverständnis des zuständigen ausländischen Konsulats erforderlich. Es wird um fernschriftliche Mitteilung gebeten, ob das slowakische Konsulat mit der Versteigerung des Inventars einverstanden ist. Der Versteigerungserlös würde dann nach Abzug der entstandenen Unkosten an das dortige Konsulat überwiesen.

Der Kontakt mit den slowakischen Vertretungen in Deutschland gestaltete sich aufgrund der Kriegswirren und der langen Entscheidungswege auf slowakischer Seite als sehr schwierig.
So lautet das letzte Schreiben in der Gestapo-Akte:

Slowakische Gesandtschaft Berlin an das Grenzkommissariat Kleve über die Gestapo Köln 9. Mai 1944
Das slowakische Konsulat in Köln hat zuständigkeitshalber der hiesigen Gesandtschaft Ihr Schreiben vom 15. April 1944 betreffend Versteigerung des in Kleve lagernden Wohnungsinventars der jüdischen slowakischen Eheleute Jacob und Anna Neugeboren weitergeleitet. Die slowakische Gesandtschaft wird sofort nach Eingang der Zustimmung des Außenministeriums in Bratislava zu dieser Versteigerung die Antwort an die Gestapo Köln mitteilen.

Anna Neugeboren wurde am 9. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert und ermordet. Sie wurde 60 Jahre alt.
Von Dorothea Ballizany fehlt seit ihrem Abtransport aus Kleve jede Spur.

Stechbahn 1

Hans Levy (Prenzlau 8.8.1895 – 1943 Auschwitz, Vernichtungslager)

Hans Levy war seit spätestens 1922 in Kleve ansässig. Er war hier als Rechtsanwalt tätig.
Nachweisen kann man ihn vor allem anhand der Klever Häuserkartei. Seit 1922 lebte er – in dem Haus Stechbahn 1.
Allerdings gab er diese Wohnung schon im Juli 1934 auf und war nun im Haus des jüdischen Kaufmannsehepaars Nathan am Prinzenhof 17 gemeldet. Im September 1936 zog er nach Berlin-Charlottenburg, vermutlich weil er hoffte, in der Anonymität der Großstadt ein unauffälligeres und freieres Leben führen zu können.
Dass sein weiteres Schicksal geklärt werden konnte, hängt damit zusammen, dass er 1927 ein Gartengrundstück an der Brabanter Straße gekauft hatte, das er 1938 zunächst verpachtete und 1939 verkaufte.
Für dieses Grundstück führte die Jewish Trust Corporation 1951 ein Rückerstattungsverfahren durch. Die Jewish Trust Corporation wurde nur dann aktiv, wenn weder der frühere Eigentümer noch seine Erben Ansprüche geltend machten, das heißt in der Regel, wenn sie den Holocaust nicht überlebt hatten.
Aus dieser Rückerstattungsakte erfährt man nebenbei übrigens auch, dass Jakob Neugeboren – von dem eben die Rede war – die Belange von Hans Levy nach seinem Wegzug aus Kleve wahrnahm und bei dem Verkauf des Grundstücks als Bevollmächtigter auftrat.
Vor allem ergibt sich aus dem Kaufvertrag von 1939 die damalige Adresse von Hans Levy: Berlin-Charlottenburg, Sybelstr. 42.
Mit dieser Angabe war klar, dass es sich bei dem Klever Rechtsanwalt Hans Levy um den Hans Levy handelte, der 1895 in Prenzlau geboren war und am 12. Januar 1943 von Berlin aus nach Auschwitz deportiert wurde. In der Deportationsliste heiß es:
Hans Levy – ledig – arbeitsfähig – zuletzt wohnhaft Charlottenburg Sybelstr. 42.
Hans Levy war zum Zeitpunkt der Deportation 47 Jahre alt.

Hagsche Straße 8 – 10

Regine Leffmann geb. Kaufmann (Nierendorf Krs. Ahrweiler 13.12.1857 – 18.9.1942 Theresienstadt, Ghetto)

Regine Leffmann war 1857 in Nierendorf im Kreis Ahrweiler geboren und zusammen mit ihrem Ehemann Moritz Leffmann etwa 1880 nach Kleve gekommen. Sie hatten gemeinsam ein großes Wohn- und Geschäftsgebäude an der Hagschen Straße gebaut, das sie im Laufe der Jahre durch den Erwerb weiterer Grundstücke bis zur Kirchstraße ausdehnten.
Im Februar 2017 wurden dort vor dem Haus Hagsche Str. 9-11 bereits Stolpersteine für sieben Mitglieder der Familie Leffmann verlegt. Für den Sohn, die Schwiegertochter und fünf Enkel von Regine Leffmann.
Etwa 1907 übernahm Sohn Emil die Leitung des Geschäftes. Nach seiner Heirat wohnte er mit seiner Familie auch im Geschäftsgebäude, während seine Eltern eine Wohnung hier im gegenüberliegenden Haus bezogen.

Nach dem Tod von Moritz Leffmann im September 1917 war seine Witwe alleinige Eigentümerin des umfangreiche Grund- und Hausbesitzes. Bis zur Zerstörung des Kaufhauses in der Pogromnacht 1938 blieb sie auch im Kaufhaus tätig. Sie war die Seele des Geschäftes und gerade die alte Kundschaft legte Wert auf ihre Beratung.
Als im Zuge der Boykott-Maßnahmen die Umsätze des Kaufhauses zurückgingen, unterstützte sie ihren Sohn und seine Familie finanziell.
1937 erhielt Regine Leffmann die Aufforderung, für den Fall einer Flucht ins Ausland als Sicherheit für die Reichsfluchtsteuer 59.200 RM zu hinterlegen. Bei dem Versuch ihres Sohnes, sich gegen diese Sonderbehandlung der Juden zu wehren, kam es auf dem Finanzamt zu einer Auseinandersetzung, die Emil Leffmann für mehrere Monate – wie es damals hieß – in „Schutzhaft“ brachte.
Die Zerstörung ihres Geschäftes 1938 musste Regine Leffmann von der gegenüberliegenden Wohnung mitansehen. Ihr jüngstes Enkelkind, die knapp 1 ½ jährige Hannelore, wurde zu ihr in Sicherheit gebracht.
Danach wurde das Gebäude zwangsversteigert und von der Städtischen Sparkasse zu einem Spottpreis übernommen. Das noch vorhandene Vermögen von Regine Leffmann kam auf ein Sperrkonto, von dem nur ein kleiner monatlicher Betrag für den unmittelbaren Lebensunterhalt freigegeben wurde.
Im Oktober 1941 wurden Emil Leffmann, seine Ehefrau Erna Leffmann und die Tochter Hannelore nach Litzmannstadt/Łódź deportiert. Vergebens hatte Emil Leffmann versucht zu erreichen, dass seine Mutter mit ihm – wie es damals hieß – „ausgesiedelt“ würde.
So blieb Regine Leffmann alleine zurück.
Im November 1941 musste sie ihre Wohnung verlassen und in das so genannte „Judenhaus“ in der Klosterstraße ziehen. Bis zuletzt hatte sich ihre Haushälterin, die 24 Jahre in ihren Diensten gestanden hatte, um sie gekümmert.
Am 25. Juli 1942 wurde die 84-jährige Regine Leffmann über Düsseldorf nach Theresienstadt deportiert. Dort starb sie am 18. September 1942.

Hagsche Straße 27

Amalie (Malli) Rosenbaum (Hagen i.W. 27.11.1894 – 12.7.1944 Chełmno Vernichtungslager)

Amalie Rosenbaum wurde 1894 in Hagen geboren und kam während des Ersten Weltkriegs nach Kleve. Sie arbeitete als leitende Verkäuferin im Kaufhaus Leffmann. Vermutlich bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zur Familie Leffmann. Sie war nicht verheiratet und hatte ihre Wohnung in der Hagschen Straße 27. Schon kurz nach der so genannten „Machtergreifung“ verließ sie diese Wohnung. Seit Mai 1933 wohnte sie bei der Familie Leffmann.
So war auch sie von der Zerstörung des Wohn- und Geschäftshauses und den Übergriffen auf die Bewohner in der Pogromnacht 1938 unmittelbar betroffen.
Nach der Zwangsräumung zog Amalie Rosenbaum mit Erna, Emil und Hannelore Leffmann in eine kleine Wohnung in der Kalkarer Straße 80 und gemeinsam mit ihnen wurde sie im Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt / Łódź deportiert.
Über ihr weiteres Schicksal geben erhalten gebliebene Akten der Ghettoverwaltung einige Informationen.
Den etwa tausend Juden des Düsseldorfer Transports wurden Massenunterkünften in zwei geräumten Schulgebäuden zugewiesen. Amalie Rosenbaum und die Familie Leffmann blieben zunächst zusammen. Mit mehr als sechzig Personen wurden sie in einem Klassenraum zusammengepfercht. Drangvolle Enge, katastrophale hygienische Bedingungen und die ständige Bedrohung durch Hunger, Gewalt und Tod bestimmten nun ihr Leben. Der sogenannten „Aussiedlung“ im Mai 1942 konnte Amalie Rosenbaum entgehen. Es gelang Emil Leffmann als „Träger des Eisernen Kreuzes“ auch für sie eine Zurückstellung zu erreichen.
Nach der Umwandlung des Ghettos in ein Arbeitsghetto im September 1942 hatten nur noch arbeitsfähige Menschen eine Überlebenschance. Das Ehepaar Leffmann wurde mit der fünfjährigen Hannelore ermordet. Amalie Rosenbaum musste Zwangsarbeit leisten. Doch schließlich wurde auch ihr Tod beschlossen.
Am 24. Juni 1944 hatte sich sie im Zentralgefängnis des Ghettos einzufinden. Am 11. Juli 1944 wurde Amalie Rosenbaum in das Vernichtungslager Kulmhof/Chełmno transportiert und dort einen Tag später ermordet.
Sie wurde keine 50 Jahre alt.

Hagsche Straße 66 – 68

Lotte Spier geb. Weyl
Dr. Ernst Spier

Text zu Lotte und Dr. Ernst Spier

Hagsche Poort 10

Josefine Klein (Czarnokonce Wielkie 1877 – 1943 Auschwitz, Vernichtungslager)

Über Josefine Klein ist nicht viel bekannt.
Geboren wurde sie am 24. Dezember 1877 im damals österreichischen Galizien. Heute liegt ihr Geburtsort in der Ukraine.
In Kleve ist ihr Leben nur durch Adressbücher und Häuserkarten nachweisbar.
So ist bekannt, dass Josefine Klein 1922 in die Hagsche Str. 70-72 zog.
Möglicherweise wohnte in dem Haus schon die Mutter von Josefine Klein. Denn hier war bereits die verwitwete Ottilie Klein geb. Gottfried gemeldet, die 1850 – also 27 Jahre vor Josefine Klein – ebenfalls in Galizien geboren war. Sie starb 1927.
Laut Häuserkartei war Josefine Klein von Beruf Kontoristin.
Auch Josefine Klein zog, kurz nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, um. Seit Juni 1933 wohnte hier in dem Haus Nr. 10. Damals hieß die Straße noch Mühlenstraße – heute ist es die Hagsche Poort.
Der jüdischen Gemeinde gehörte sie wohl nicht an. Möglicherweise blieb sie dadurch zunächst unerkannt. Jedenfalls konnte sie hier wohnen bleiben, als die meisten Klever Juden im November 1941 gezwungen wurden, in das sogenannte „Judenhaus“ an der alten Brücke am Spoykanal zu ziehen.
Daher haben wir hier einen der ganz seltenen Fälle, bei denen die Deportation an Hand der Häuserkarte nachzuweisen ist.
Auf der Karte ist folgendes vermerkt: Josefine Klein verzogen am 23. Juli 1942; jetzige Wohnung Theresienstadt.
Weiteres erfährt man aus den Deportationslisten. Zwei Tage nachdem sie ihre Wohnung verlassen musste, wurde sie gezwungen am 25. Juli 1942 in Düsseldorf einen Zug zu besteigen, der von Aachen kommend, fast 1000 Menschen ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Aus dem Ghetto Theresienstadt wurde Josefine Klein am 18. Dezember 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert, wo sie vermutlich nach ihrer Ankunft kurz vor ihrem 66. Geburtstag ermordet wurde.

Kasinostraße 2

Siegfried Cosman (Kleve 1854 – 1935 Kleve)
Dorothea Ballizany geb. Cosman (Kleve 1857 – 1943 während der Deportation)
Wilhelm Ballizany (Kleve 1860 – 1942 Kleve)

Die Familie Cosman war eine alteingesessene Klever Familie, die bis zum Beginn der 1730er Jahre hier nachweisbar ist.
Jacob Cosman (1817-1870) hatte 1858 eine lithographische und photographische Anstalt auf der Kirchstraße in der Nähe des Fischmarkts gegründet. Zwei seiner Kinder – Siegfried Cosman und Dorothea Ballizany – lebten mit ihren Familien noch in der NS-Zeit in Kleve.

Siegfried Cosman hatte 1880 das Galanteriewaren-Geschäft seiner Tante Susanne Cosman in der Nähe der evangelischen Kirche übernommen und zu einem Kurz- Weiß- und Wollwarengeschäft erweitert. Er schloss sich der Einkaufsgenossenschaft „Hamburger Engros-Lager“ an. 1883 heiratete er Minna Lichtenstein. 1897 konnte die Familie in das von ihm errichtete Wohn- und Geschäftshaus am Fischmarkt umziehen (heute Große Str. 90). Eine Vielzahl von Anzeigen in Zeitungen, Fremdenführern und Adressbüchern geben einen Eindruck von dem florierenden Geschäft. 1910 übergab er das Familienunternehmen an seine älteste Tochter Anna und ihren Ehemann Jacob Kurt Neugeboren.
Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsmann war Siegfried Cosman auch in der Klever Gesellschaft präsent. Er war ein deutscher Patriot und setzte sich für die Belange seiner Vaterstadt ein. Seine Tochter Erna gehörte 1909 zu den hundert Ehrenjungfrauen, die Kaiser Wilhelm II. bei seinem Besuch in Kleve am Amphitheater begrüßten.
Während des Ersten Weltkrieges engagierte er sich bei der Betreuung verwundeter Soldaten und der Versorgung von Kriegshinterbliebenen. Im November 1915 wurde in den oberen Räumen seines Hauses Kirchstr. 29 ein Soldatenerholungsheim eingerichtet. Seit März 1916 gab es hier auch eine Goldankaufstelle. An der Errichtung des „Eisernen Mannes“ auf dem Fischmarkt, einer Maßnahme zum Sammeln von Spenden für Kriegshinterbliebene, war Cosman maßgeblich beteiligt.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges war Cosman Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates, der die Ruhe und Ordnung in der Stadt gewährleisten sollte und die Demobilisierung durchführte.
Noch 1929 erhielt Cosman anlässlich seines 75. Geburtstags eine Urkunde des Klever St. Martins-Ausschusses als „treuestem Mitarbeiter … in Anerkennung seiner überaus großen Verdienste für [ihre] Ideale“.
Dorothea Cosman heiratete 1891 den evangelischen Fotografen Wilhelm Ballizany, der das von ihrem Vater gegründete Fotoatelier weiterführte. Viele Klever werden noch im Besitz von Fotos des Ateliers Cosman-Ballizany sein. Als Ballizany Ende 1919 seine Berufstätigkeit aufgab, blieb das Wohn- und Geschäftshaus mit dem Fotoatelier weiter in Familienbesitz. Dorothea und Wilhelm Ballizany zogen in das von ihnen erworbene Haus in der Kasinostr. 2.

Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Minna 1919 zog auch Siegfried Cosman dort ein.
Vermutlich hatte man geplant, hier gemeinsam den Lebensabend zu verbringen. Aber es kam anders.
Schon 1933 sahen sie sich gezwungen das Haus zu verlassen. Sie zogen zunächst in das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Neugeboren in die Große Straße.
Hier starb Siegfried Cosman 1935 im Alter von 80 Jahren und musste nicht mehr miterleben, dass sein Lebenswerk zerstört wurde.
1936 musste das Ehepaar Neugeboren das Geschäft verpachten und zusammen mit dem Ehepaar Ballizany ihre Wohnung zu verlassen. Im April 1940 folgte der Zwangsverkauf.
Nach mehreren Umzügen kamen die Eheleute Neugeboren und Ballizany 1939 im Haus des jüdischen Viehhändlers Gustav Rothschild unter. Von dem Zwangsumzug der jüdischen Hausbewohner ins „Judenhaus“ am Spoykanal im November 1941 blieb Dorothea Ballizany verschont, da sie in einer sogenannten „privilegierten Mischehe“ lebte. Doch schon einen Monat später zog auch das Ehepaar Ballizany ins „Judenhaus“, weil es wahrscheinlich auf die Betreuung durch Anna Neugeboren angewiesen war.
Wilhelm Ballizany starb 1942 nach schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren. Seine Witwe verlor hierdurch den letzten Schutz, den ihr der „arische“ Ehemann noch hatte geben können.
Im November 1943 erging zunächst der Befehl der Gestapo Düsseldorf an das Grenzkommissariat (Greko) Kleve, das Ehepaar Neugeboren in das Altersghetto Theresienstadt zu überführen. Nachdem das Greko daraufhin nachgefragt hatte, was dann mit Dorothea Ballizany geschehen solle, die bettlägrig, krank und fast erblindet auf die Hilfe ihrer Nichte angewiesen sei, beschloss die Gestapo auch deren Deportation. Daran konnte auch die Bescheinigung des Amtsarztes, dass die 86jährige Frau sehr gebrechlich und nicht reisefähig sei, nichts ändern. Am 26.11. wurden die drei Personen, um einen etwaigen Selbstmord zu verhindern, in die Haftanstalt Kleve eingeliefert. Am 27.11. begann durch die „Transportabteilung“ der Ortspolizeibehörde die Deportation, die nur Anna Neugeboren überlebte. Dorothea Ballizany starb schon am gleichen Tag, Jakob Kurt Neugeboren am 16.12. im Polizeigefängnis Prag-Pankratz an „Herzschwäche“.
Anna Neugeboren kam am 16.12.1943 im Ghetto Theresienstadt an. Von dort wurde sie am 9.10.1944 ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert und ermordet

Berichterstattung über die dritte Stolpersteinverlegung:

Gelderlandse-vrijdag 2017-08-04-Gedenktekens op plekken waar sl