Jüdische Klever

Dorothea und Wilhelm Ballizany

 

Dorothea Ballizany geb. Cosman (Kleve 1857 – 1943 auf dem Transport nach Theresienstadt)
Wilhelm Ballizany (Kleve 1860 – 1942 Kleve)

Foto: Reiseandenken aus Kleve – Titelblatt einer Fotosammlung von 1890 (privat)

Viele Klever werden bei einem Blick in ihre alte Fotoalben schon auf den Namen Ballizany gestoßen sein. Wilhelm Ballizany war Fotograf und betrieb mindestens dreißig Jahre lang das von Jacob Cosman 1858 gegründete Fotoatelier an der Kirchstraße in der Nähe des Fischmarktes. 1891 heiratete er dessen Tochter Dorothea Cosman. Die Familie Cosman war eine alteingesessene Klever Familie, seit etwa 1730 hier nachweisbar. Dennoch war die Ehe wohl eher ungewöhnlich, denn Ballizany war evangelisch, seine Frau Jüdin. Die Ehe blieb kinderlos.

Foto: Anzeige im Klever Adressbuch 1914 (Stadtarchiv Kleve)

Ende 1919 verkaufte Ballizany das Wohn- und Geschäftshaus mit dem Fotoatelier an Leonard Wijnberg, den Ehemann einer Nichte seiner Frau.

Foto: Anzeige im „Führer für Kleve und Umgebung“ 1921 (Stadtarchiv Kleve)

Das Geschäft blieb also in Familienbesitz. Er bezog mit seiner Frau das von ihm neu erworbene Haus in der Kasinostr. 2.

Foto: Kasinostr.2 (privat)

Auch sein Schwager Siegfried Cosman zog dort ein. Zuvor hatte dieser die Geschäftsführung seines Kurz-, Weiß- und Wollwarengeschäfts, das sich seit etwa 1900 in einem Neubau am Fischmarkt befand (Große Str. 90), an seine Tochter Anna Adelheid und seinen Schwiegersohn Jakob Kurt Neugeboren übergeben.
1926 verkaufte Ballizany sein Haus Kasinostr. 2 auf Rentenbasis an das Ehepaar Neugeboren, blieb aber in dem Haus wohnen.
Vermutlich war geplant, hier gemeinsam den Lebensabend zu verbringen. Aber es kam anders.
Schon 1933 war das Ehepaar Neugeboren gezwungen, das Haus in der Kasinostraße zu verpachten. 1939 mussten sie es verkaufen. Eine Zeitungsanzeige von 1933, die auf die Versteigerung der Wohnungseinrichtung hinweist, zeigt, welchen Lebensstandard das Ehepaar Ballizany bis dahin hatte. Eine Unterkunft fanden sie zunächst bei der Familie in der Großen Straße. Dort starb Siegfried Cosman 1935 und musste daher nicht mehr erleben, dass die Neugeborens gezwungen waren, auch das Geschäft zu verpachten und ihre Wohnung zu räumen. 1940 mussten sie auch das Haus auf der Großen Straße verkaufen. Für die Eheleute Ballizany und Neugeboren hatte schon im März 1936 eine Odyssee begonnen, die anhand der Einwohnerkarten der Stadt Kleve gut nachzuvollziehen ist.

Anzeige im Volksfreund August 1933 (Stadtarchiv Kleve)
Zunächst kamen sie in einem Hotel unter, dann bezogen sie eine Wohnung an der Lindenallee, die sie schon nach 2 ½ Jahren wieder verlassen mussten. Die jüdische Bevölkerung wurde nun in einigen wenigen Häusern in jüdischem Besitz konzentriert und so zogen 1939 die Ehepaare Ballizany und Neugeboren in das Haus des jüdischen Viehhändlers Gustav Rothschild in der Emmericher Str. 34 (heute Bahnhofstraße). Am 18.11.1941 mussten die meisten Juden in Kleve zwangsweise in ein ehemaliges Hotel am Spoykanal – das sogenannte „Judenhaus“ – umsiedeln. Dorothea Ballizany war von dieser Anordnung nicht betroffen, da sie in einer sogenannten „privilegierten Mischehe“ lebte. Doch schon einen Monat später zog auch das Ehepaar Ballizany ins „Judenhaus“, weil es wahrscheinlich auf die Betreuung durch Anna Neugeboren angewiesen war.
Wilhelm Ballizany starb am 1.9.1942 nach schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren. Seine Witwe verlor hierdurch den letzten Schutz, den ihr der „arische“ Ehemann noch hatte geben können.
Über die letzten Tage von Dorothea Ballizany gibt es in der Gestapo-Akte von Jakob Neugeboren detaillierte Informationen.
Am 15.11.1943 erging der Befehl der Gestapo Düsseldorf an das Grenzkommissariat (Greko) Kleve, dass das Ehepaar Neugeboren in das Altersghetto Theresienstadt zu überführen sei. Am 20.11. fragte das Greko nach, was dann mit Dorothea Ballizany geschehen solle, die bettlägrig, krank und fast erblindet auf die Hilfe ihrer Nichte angewiesen sei. Daraufhin wurde beschlossen, dass auch sie deportiert werden sollte. Die Bescheinigung des Amtsarztes, dass die 86jährige Frau sehr gebrechlich und nicht reisefähig sei, konnte daran nichts ändern. Am 26.11. wurden die drei in die Haftanstalt Kleve eingeliefert. Dies geschah, um einen etwaigen Selbstmord zu verhindern. Am 27.11. begann durch die „Transportabteilung“ der Ortspolizeibehörde die Deportation, die nur Anna Neugeboren überlebte. Dorothea Ballizany starb schon an gleichen Tag, Jakob Neugeboren am 15.12. im Polizeigefängnis Prag-Pankratz an „Herzschwäche“.
Anna Neugeboren kam am 16.12.1943 im Ghetto Theresienstadt an. Von dort wurde sie am 9.10.1944 ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert und vermutlich sofort ermordet.

Helga Ullrich-Scheyda

Ernst Goldschmidt

Ernst Goldschmidt kämpfte gegen das Vergessen

Seit 1992 trägt die Straße, die am jüdischen Friedhof vorbeiführt, seinen Namen. Auf dem Informationsschild wird er als „Jude, Widerstandskämpfer, Literat“ bezeichnet.

ErnstGoldschmidt

Wer war dieser Mann?

Ernst Goldschmidt wurde 1904 in eine Familie geboren, die seit den 1850er Jahren in Kleve ansässig war. Seine Vorfahren waren zunächst als Lohgerber tätig gewesen und betrieben später eine eigene Gerberei, die der Vater von Ernst Goldschmidt später verkaufte. Seine Mutter Lucy Offenbacher kam aus Paris. Bis 1933 führte er ein glückliches und unbeschwertes Leben, studierte Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt und trat – weniger aus Überzeugung als um sein bürgerliches Umfeld zu schockieren – der Kommunistischen Partei bei.
1933 wurde aus diesem Übermut bitterer Ernst. Nach dem Reichstagsbrand kam er in „Schutzhaft“ ins Klever Gefängnis, wo er dann auch eine achtmonatige Gefängnisstrafe wegen des angeblichen Besitzes einer Schusswaffe verbüßen musste. Anschließend wurde er wieder als „Schutzhäftling“ ins Konzentrationslager Esterwegen überführt. Nach seiner Entlassung emigrierte er ins Ausland und war dort im Widerstand aktiv. 1939 geriet er als Staatenloser in Frankreich erneut in Gefangenschaft. Nur mit viel Glück gelang ihm die Flucht und die Einreise in die Schweiz. Als Mitredakteur der Exilzeitschrift „Über die Grenzen“ konnte er nun seiner Leidenschaft als Schriftsteller nachgehen. Seine einzigen sicher überlieferten Werke wurden in dieser Zeitung abgedruckt. Hier entstand auch sein Gedicht „Mein Land“, das er später seiner in Auschwitz ermordeten Mutter widmete. Es handelt von den Erinnerungen an seine glückliche Zeit in Kleve, seine Liebe zur alten Heimat und der Hoffnung auf einen Neuanfang.
Nach dem Krieg nahm er die belgische Staatsangehörigkeit an und gründete in Brüssel eine Familie. Doch kam es früh wieder zu Kontakten nach Kleve. Allerdings besuchte er die Stadt nicht nur alter Freunde wegen.
Schon 1950 bemühte Ernst Goldschmidt sich in einem Rückerstattungsverfahren den verloren Grundbesitz der Familie für sich und seine beiden Geschwister, die in New York lebten, zurückzuerhalten. Bei den Häusern in der Klosterstraße (heute: An der Münze) gestaltete sich dies als sehr schwierig. Es kam zu einen Prozess gegen die Eigentümer, die den Besitz 1939 „arisiert“ hatten. Letztlich erhielten die Goldschmidts 1955 Recht, nachdem eine Beschwerde der Gegner vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden war. Doch ein Zitat aus einem Schreiben der Prozessgegner von 1971 kann verdeutlichen, welches Klima damals geherrscht hatte. „Wie bekannt, wurde unseren Eltern, durch die Jüdin Goldschmidt, den ihr zugehörigen verkommenen, unbewohnbaren Grundbesitz, in der Klosterstr. aufgedrängt. Nach langen Überlegungen und nach Zuspitzung der Verfolgungsabsichten der NS Regierung wurde dann im Jahre 1938 der Grundbesitz käuflich erworben,….um den Juden zu helfen das Vermögen zu retten. Trotzdem wurde uns, von den Erben Goldschmidts vor allen Dingen, durch den enterbten Sohn Ernst Goldschmidt, ein Rückerstattungsverfahren angehangen. Dieses Verfahren wurde an der Wiedergutmachungskammer in Kleve ….ein ungerechtes und unmög-liches Urteil gefällt, da die Richter, mehr oder weniger befangen waren, und den Juden Ernst Goldschmidt gefällig sein wollten, da er sich enorm aufspielte.“ (Grammatik und Stil im Original.)
1959 sagte Goldschmidt als Zeuge in einem Gerichtsverfahren gegen Franz Peters aus, der 1933 im Klever Gefängnis als Polizeimeister einen Schutzhäftling zu Tode geprügelt hatte. Unbehelligt hatte Peters, der, angeblich unauffindbar, ins Ausland geflüchtet war, als Hauptmann beim Bundesgrenzschutz in Bonn gelebt. Er hatte lediglich seine Vornamen umgestellt und das Geburtsdatum leicht abgewandelt. Ein Zufall hatte dies ans Tageslicht gebracht.
Nach dem erlittenem Unrecht während der Zeit des Nationalsozialismus waren es die Erfahrungen in der Nachkriegszeit, die Goldschmidt hart und unversöhnlich machten.
Goldschmidt klagte an, dass viele an den nationalsozialistischen Verbrechen Beteiligte nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, dass sie weiter als Beamte tätig waren und ihren Pensionsanspruch behielten, während den Opfern die Anerkennung des erlittenen Unrechts und eine angemessene Entschädigung oft verweigert wurden. Er wehrte sich gegen die Bestrebungen vieler Deutscher einen Schlussstrich zu ziehen und die unsägliche Vergangenheit zu vergessen.
Ernst Goldschmidt starb 1963 unerwartet an den Folgen einer Operation.

Helga Ullrich-Scheyda

Die Text erschien im Klever Lokalteil der NRZ vom 7. März 2015.

Helene und Bernhard Gonsenheimer

Unter Beobachtung der Nachbarn

Das Haus der Familie Gonsenheimer, Kavarinerstr. 42

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Im Dezember 2015 hat der Rat der Stadt Kleve beschlossen, zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger Kleves, die zwischen 1933 und 1945 Opfer des Nationalsozialismus wurden, Stolpersteine zu verlegen.

Hierdurch rücken auch die Wohnhäuser der jüdischen Familien in den Blickpunkt des Interesses. Denn die Stolpersteine werden vor dem Haus verlegt, das als letzte freiwillig gewählte Wohnung vor Beginn der NS-Verfolgung bekannt ist.

Ein solcher Ort ist die Kavarinerstraße 42. Das Gebäude hat den Krieg überstanden, wurde inzwischen aber stark verändert.

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Seit 1923 war Bernhard Gonsenheimer Eigentümer dieses Hauses. Seine Familie lebte als Metzger und Viehhändler schon in der vierten Generation in Kleve. Gonsenheimer hatte Anfang des 20. Jahrhunderts das Unternehmen vom Vater übernommen, während sein Bruder Hermann ein Manufaktur- und Konfektionsgeschäft gegründet hatte, dort wo sich heute das Modehaus Mensing befindet.

Bernhard Gonsenheimer war 1869 geboren worden und hatte 1903 in Rheinberg Helene Gompertz geheiratet. Das Haus Kavarinerstraße 42 war nicht nur das Wohnhaus der Familie, hier befanden sich die Geschäftsräume und dahinter erstreckte sich umfangreiches Weideland bis zur Kanalstraße (heute Flutstraße) und zur Ludwig-Jahn-Straße.

Die Häuserkartei der Stadt Kleve kann uns einiges über das Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933 erzählen. Erkennbar wird, wie schnell eine rege Umzugstätigkeit einsetzte. Die Gründe hierfür waren sicher vielfältig.
Hausbesitzer kündigten ihren jüdischen Mietern. Jüdischen Geschäftsleuten brachen durch die Boykottmaßnahmen die Einnahmen weg, andere verloren ihren Arbeitsplatz oder wurden im Rahmen der „Arisierung“ gezwungen, Häuser und Betriebe aufzugeben.

Deutlich wird, dass die Familien enger zusammen rücken. Spätestens mit dem Gesetz über die Mietverhältnisse der Juden am 30. April 1939 erhielt diese Praxis eine gesetzliche Grundlage. Der Kündigungsschutz für Juden wurde aufgehoben und jüdische Haus- und Wohnungseigentümer gezwungen, andere Juden als Untermieter aufzunehmen.

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Es entstanden die damals so genannten „Judenhäuser“ sicher mit der Absicht, alte Nachbarschaften zu zerstören, einen besseren Zugriff auf die Juden zu haben und eine eventuelle „Aussiedlung“ zu vereinfachen.

1939 lebten im Haus Kavarinerstraße 42 neben dem Ehepaar Gonsenheimer die Familien von Gustav Meyer, bis 1936 Inhaber des Hotels Benedict, und von dessen Bruder Max Meyer, der bis 1934 Teilhaber und Geschäftsführer des Lichtspielhauses gewesen war. Gonsenheimers Sohn Ernst bereitete mit seiner Frau im Elternhaus die Flucht nach Venezuela vor, die ihnen 1940 gelang. Ein Kaufmann konnte von hier aus nach Paraguay emigrieren.

1938 hatte Bernhard Gonsenheimer das Grundstück und Teile des Weidelandes, vermutlich um es vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen, an Paula Gonsenheimer, die Witwe seines Bruder Dietrich, übertragen, die niederländische Staatsbürgerin war. Anderen Grundbesitz musste er im Zuge der „Arisierung“ unter Wert verkaufen und auch das verbleibende Vermögen stand den Eheleuten Gonsenheimer ab 1939 nicht mehr zur Verfügung. Zur Bestreitung des Lebensunterhalts wurden ihnen monatlich nur 300 RM freigegeben.

Die Bewohner des Hauses Kavarinerstraße 42 standen unter Beobachtung der Nachbarn. Aus der Gestapo-Akte von Wilhelm Frede, der nur wenige Häuser entfernt wohnte, wissen wir, dass es in einem gegenüberliegenden Haus Denunzianten gab, die das ihrer Ansicht nach Ärgernis erregende Verhalten Fredes an den Sicherheitsdienst meldeten. Frede habe Jungen, ebenfalls aus der Nachbarschaft, zurechtgewiesen, die am Tag nach dem Novemberpogrom 1938 mit Steinen die Fensterscheiben zertrümmert hatten. Sie wussten auch zu berichten, dass Frede immer noch seine jüdischen Nachbarn grüßte und mit ihnen sprach.

Gonsenheimer wurde „bei der allgemeinen Aktion gegen Juden [dem Pogrom von 1938] in Schutzhaft genommen“.

Am 18. November 1941 mussten fast alle noch in Kleve lebenden Juden ihre Unterkünfte verlassen. Das „Judenhaus“ in der Klosterstraße direkt am Spoykanal wurde ihre letzte Klever Adresse. Von hier aus wurden sie in drei Transporten in den Osten deportiert.

Am 25. Juli 1942 kamen Bernhard und Helene Gonsenheimer zunächst in das Ghetto Theresienstadt. Am 21. September 1942 wurden sie unmittelbar nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

„Mit seiner Evakuierung nach Theresienstadt ist sein Vermögen dem D.R. [Deutschen Reich] verfallen“ endete die Gestapo-Akte lapidar.
Die drei Kinder retteten durch die Emigration nach Venezuela und England ihr Leben. Einen kleinen Teil des Familienbesitzes erhielten sie im Wiedergutmachungsverfahren zurück. Das Grundstück an der Kavarinerstraße hatte das Deutsche Reich 1939 eingezogen. Es wurde 1951 an Paula Gonsenheimer rückerstattet und blieb bis 2006 im Eigentum ihrer Erben.

Helga Ullrich-Scheyda

Der Text erschien im Klever Lokalteil der NRZ am 30. Januar 2016.

Max Gonsenheimer

Max Gonsenheimer – ein jüdischer Klever

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Der 27jährige Max Gonsenheimer 1938, ein Jahr bevor er Deutschland für immer verließ (Foto privat)

„Deutschland ist immer seine Heimat geblieben, sein Kulturkreis. Deutsch die Sprache, die er auch zu Hause in Israel reden wollte, bis zu seinem letzten Tag ist es dabei geblieben. Kleve war der Fleck auf Erden, nach dem er sich stets gesehnt hat.“ Dies schrieb die Tochter von Max Gonsenheimer in der Erinnerung an ihren Vater, der als 22jähriger gezwungen war, seine Geburtsstadt zu verlassen.
Als er am 28. Mai 1911 geboren wurde, deutete nichts darauf hin, wie tragisch sein Leben sich gestalten sollte.
Die Familie Gonsenheimer lebte seit 1796 in Kleve. In vierter Generationen war sein Onkel Bernhard hier als Viehhändler tätig, während sein Vater Hermann 1899 ein Textilgeschäft an der Kavarinerstraße eröffnete, das sich rasch zu einem „Kaufhaus für Manufaktur- und Konfektionswaren“ entwickelte.
Seit Anfang der 20er Jahre besaß die Familie ein geräumiges Wohnhaus in der Tiergartenstr. 24. Vorher hatte sie in ihrem Geschäftshaus Kavarinerstr. 3 gewohnt. Allerdings starb Hermann Gonsenheimer schon 1928. Seine Witwe Sophie Gonsenheimer führte, seit 1930 unterstützt durch ihren Sohn Max, der eine kaufmännische Lehre in Herne absolviert hatte, das Kaufhaus weiter. 1930 konnte nach umfassenden Baumaßnahmen ein modernes und helles Geschäftsgebäude nach den Entwürfen des bekannten Utrechter Architekten Rietveld eröffnet werden, das vor allem durch seine gewaltigen Glasfronten beeindruckte.

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Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde das Leben der Familie brutal zerstört. Schon im März 1933 war das Kaufhaus Gonsenheimer von den Boykott-Aktionen gegen jüdische Geschäfte betroffen. Es musste Konkurs anmelden und wurde an Friedrich Doherr verpachtet, der damit warb, dass es sich nun um ein „rein christliches Unternehmen“ handelte.
Auch privat wurde die Familie drangsaliert. Max Gonsenheimer lässt sich für seinen kranken Bruder Paul wegen dessen angeblich „rasseschänderischer Beziehung“ zu einem nichtjüdischen Mädchen durch die Straßen treiben und wird acht Tage im Gefängnis in der Krohnestraße inhaftiert.
Da Doherr ihn nicht weiterbeschäftigte, wurde er arbeitslos. Anfang 1934 verließ er die Stadt, machte in einer Dekorationsschule in Köln eine Zusatzausbildung und arbeitete in verschiedenen Städten, zuletzt in Leipzig. Nach dem Novemberpogrom wurde er in „Schutzhaft“ genommen und bis zum 17.12.1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen gefangen gehalten. Freigelassen wurde er nur, weil er die Anzahlung einer Schiffskarte nach Shanghai vorweisen konnte. Diese Möglichkeit nahm er dann aber nicht wahr. Er flüchtete Ende Dezember 1938 über die niederländische Grenze nach Enschede, wo er bei Verwandten Zuflucht fand. Im Juli 1939 gelang es ihm mit Hilfe einer jüdischen Organisation gemeinsam mit fast 500 weiteren aus Deutschland geflohenen Juden mit dem Dampfer Dora Europa zu verlassen. Am 12. August kam der illegale Transport in Palästina an. Sein Besitz passte in einen kleinen Handkoffer.
Im gleichen Jahr musste Sophie Gonsenheimer das Geschäftsgebäude in Kleve im Zuge der „Arisierung“ an Doherr verkaufen.anzeige-gonsenheimer-neu2

Das erweiterte und modernisierte Kaufhaus Gonsenheimer 1930. Der Bau ist im heutigen Modehaus Mensing noch gut zu erkennen. (Ausschnitt aus einer Anzeige aus dem Clevischen Volksfreund März 1930)

Sophie Gonsenheimer und ihre Tochter Henny wurden im Oktober 1941 aus Kleve in das Ghetto Łódź deportiert. Die Mutter überlebte die katastrophalen Lebensbedingungen nur einen Monat. Henny Gonsenheimer wurde im Mai 1942 im Vernichtungslager Chełmno ermordet.
Max Gonsenheimer musste mit diesem Verlust und den schmerzlichen Erinnerungen in einem Land weiterleben, dessen Sprache er zunächst nicht sprach und in dem er folglich kaum berufliche Möglichkeiten hatte. Auch das Klima und die völlig anderen Lebensbedingungen in Palästina machten ihm zu schaffen. Zunächst musste er schwerste Arbeit in einer Ölraffinerie in Haifa leisten, dann war er Arbeiter bei der britischen Besatzungsarmee. Ab 1942 versuchte er seinen Lebensunterhalt in einem Hotel in Haifa zu verdienen, blieb mit seinem Verdienst aber unter dem Existenzminimum.
Erst Zahlungen aus den Rückerstattungsverfahren ermöglichten es ihm 1953, Teilhaber an einem kleinen Papier- und Schreibwarengeschäft zu werden, das er bis ins hohe Alter betrieb.
Über die Leiden während der Zeit des Nationalsozialismus hat er nicht gesprochen. „Es war ein zu schmerzliches Thema. Ich stellte ihm Fragen, auf die er mit Schweigen reagierte“, schreibt seine Tochter.
Als im Jahr 1989 die Stadt Kleve ehemalige jüdische Mitbürger und deren Nachfahren zu einem offiziellen Besuch einlud, sah er seine Geburtsstadt noch einmal wieder.
Er starb am 16. Januar 1994 in Haifa.

Helga Ullrich-Scheyda

Erna, Emil und Hannelore Leffmann

Ein deutscher Patriot

Der Klever Kaufmann Emil Leffmann wollte nicht glauben, dass seine Verdienste im nationalsozialistischen Deutschland nichts mehr galten.


Im März 1937 kam es im Klever Finanzamt zu folgender Begebenheit.
Emil Leffmann war beim Finanzamt erschienen, um zu versuchen eine Angelegenheit für seine Mutter zu klären. Die fast 80jährige Witwe Regine Leffmann hatte einen Reichsfluchtsteuerbescheid erhalten, der sie verpflichtete, für den Fall einer Flucht ins Ausland 59 200 RM Sicherheit zu hinterlegen. Hierbei kam es zu einer Eskalation.

Schon erbost über die Sonderbehandlung von Juden, geriet Leffmann durch antisemitische Äußerungen des Steueroberinspektors weiter in Rage. Er verwies auf seinen Fronteinsatz während des Krieges und betonte, dass nicht alle wie er ihre vaterländische Pflicht erfüllt hätten. Hierdurch fühlte sich wiederum der Beamte, der ebenfalls Frontkämpfer gewesen war, beleidigt und schlug Leffmann ins Gesicht, worauf dieser Gegenstände vom Schreibtisch herunterriss.

Der Beamte meldete den Vorfall. Hierauf wurde Leffmann in Untersuchungshaft genommen, ins Klever Gefängnis eingeliefert und sein Reisepass eingezogen. Die Gestapo legte eine Personenakte an.

Nach Aufhebung des Haftbefehls wurde er wegen seines „ungebührlichen Benehmens“ in Schutzhaft genommen. „Leffmann sein Verhalten ist geeignet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar zu gefährden.“

Ein Kriminalassistent hatte den den Antrag auf Schutzhaft mit den Worten begründet. Leffmann habe „es immer noch nicht gelernt […], sich dem Zwang der ihm als Rassenfremden in Deutschland auferlegt ist, zu fügen“.

Emil Leffmann wurde schließlich wegen Beleidigung zu 1000 RM Geldstrafe verurteilt und blieb noch über einen Monat in „Schutzhaft“. Er galt nun als vorbestraft.

Geboren war Emil Leffmann im April 1883 in Kleve, einen Monat nachdem sein Vater Moritz Leffmann in dem von ihm neuerbauten Wohn- und Geschäftshaus an der Hagschen Straße (heute Nr. 9 – 11) ein Mode- und Manufakturwarengeschäft eröffnet hatte, welches der Sohn später übernahm.

Leffmann hatte die Höhere Landwirtschaftsschule in Kleve besucht, seinen Militärdienst in Düsseldorf abgeleistet und hatte während des Ersten Weltkriegs fast ununterbrochen an der Front gekämpft. Er war zum Leutnant befördert und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet worden.

Nach dem Krieg war er Leiter der Ortsgruppe des Reichsbunds jüdischen Frontsoldaten in Kleve und Mitglied des Reichsbanners, eines den Sozialdemokraten nahestehendes Bündnisses zum Schutz der Weimarer Republik.

Leffmanns

Erna und Emil Leffmann und den Söhnen Kurt und Ernst ca. 1930 (Foto: Privat)

Durch das Erstarken der Nationalsozialisten ließ er sich nicht einschüchtern. Schon seit Beginn der 1930er Jahren widersetzte er sich deren Schikanen und auch nach 1933 war er nicht bereit, die vom Staat angeordneten Übergriffe hinzunehmen. Das Kaufhaus Leffmann war das letzte jüdische Geschäft in Kleve, bis es im Novemberpogrom von 1938 von den Klever SS-Leuten, die zuvor die Synagoge niedergebrannt hatten, zerstört wurde. Die SS-Leute drangen auch in die über dem Geschäft liegende Wohnung der Familie ein, bedrohten und misshandelten Emil und Erna Leffmann und ihre zweijährige Tochter Hannelore.

Hannelore Feb.1938Hannelore Leffmann im Februar 1938 im Alter von etwa neun Monaten. Sie wurde nur fünf Jahre alt (Foto: Privat)

Im Frühjahr 1939 mussten sie ihr Haus verlassen. Die Stadt Kleve eignete sich das Gebäude an und richtete dort Kriegsämter ein. Ihren Besitz mussten sie auf Sperrkonten deponieren, von denen ihnen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes monatlich nur 150 RM freigegeben wurden.

Noch 1937 hatte Leffmann an die Gestapo geschrieben: „Ich werde niemals flüchten. Ich bin in Kleve geboren und will in Kleve sterben.“ Jetzt versuchte auch er verzweifelt, noch einen Weg zu finden, Deutschland zu verlassen. Aber es war zu spät. Mit dem ersten Transport aus dem Rheinland wurde die Familie Leffmann am 26. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt/Łódź deportiert.

Im Mai 1942 wurden Emil Leffmanns Verdienste und Auszeichnungen im Ersten Weltkrieg scheinbar noch einmal anerkannt. Als „Frontkämpfer“ gelang es ihm, für seine Familie eine Zurückstellung von der „Aussiedlung“ zu erreichen. Letztlich bedeutete dies einen Aufschub um vier Monate. Als im September 1942 alle nicht arbeitsfähigen Personen, darunter auch alle Kinder unter zehn Jahren, „ausgesiedelt“ werden sollten, gab es keine Chance auf Rückstellung mehr. Bei der sogenannten „Ghetto-Sperre“ kam es zu Szenen von bisher nicht gekannter Brutalität. Emil, Erna und Hannelore Leffmann wurden vom Ghetto in das Vernichtungslager Chełmno gebracht und dort ermordet. In einer Gruppe von 60 Personen wurden sie in einen LKW getrieben und erstickten qualvoll durch die Autoabgase, die mit einem Schlauch ins Innere des LKW geleitetet wurden. Anschließend wurden sie in Massengräbern verscharrt.

Helga Ullrich-Scheyda

Der Text erschien im Klever Lokalteil der NRZ vom 10.Oktober 2015.

Erich, Hilde, Kurt und Ernst Leffmann

Von Kleve in alle Welt geflüchtet

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus flohen deutsche Juden in alle Welt. Erich, Hilde, Kurt und Ernst Leffmann fanden sich auf vier Kontinenten wieder.

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Ernst, Kurt, Hilde und Erich Leffmann ca. 1934

„13 Mitglieder meiner Familie sind von den Nazis getötet worden und der Rest in aller Herren Länder verschlagen“ (aus einem Brief von Kurt Leffmann)

Flucht ist heute wieder ein aktuelles Thema. Was es für Menschen bedeutet ihre Familien, ihre Heimat, ihre beruflichen Existenz und alles, was ihnen bisher Sicherheit gegeben hatte, verlassen zu müssen, kann man auch am Schicksal von Überlebenden der Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland sehen.

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Hilde und Kurt Leffmann 1949

So soll hier – wenn auch stark verkürzt – die Lebensgeschichte von Erich, Hilde, Kurt und Ernst Leffmann geschildert werden, für die Kleve bis 1933 ganz selbstverständlich „Heimat“ war.

Die Großmutter Regine Leffmann, die Eltern und die kleine Schwester Hannelore waren ermordet worden.

Die vier Geschwister überlebten, weil es ihnen gelang aus Deutschland zu flüchten. Sie fanden sich schließlich auf vier verschiedenen Kontinenten wieder und jeder musste alleine versuchen, ein neues Leben aufzubauen.

Der 1908 geborene Erich und sein drei Jahre jüngerer Bruder Kurt waren 1939 nach England emigriert. Während der stark sehbehinderte Kurt dort bleiben konnte, wurde Erich im Mai 1940, nach Beginn des Krieges im Westen, als „enemy alien“ (feindlicher Ausländer) interniert und wenig später mit dem ehemaligen Truppentransporter „Dunera“ zusammen mit zweieinhalbtausend weiteren überwiegend jüdischen Häftlingen unter erbärmlichen Lebensbedingungen nach Australien deportiert. In Melbourne blieb er zunächst im Internierungslager. Nach seiner Entlassung trat er in die australische Armee ein.

Erich Leffmann_345Nach dem Krieg musste Erich sich eine berufliche Existenz aufbauen. Er hatte in Deutschland Jura studiert und war 1933 gemäß dem „Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als Referendar aus dem Justizdienst entlassen worden. In Australien war sein Studium ohne Bedeutung. Sein Schwager verschaffte ihm in seinem Bekleidungsgeschäft eine Stelle als Büroangestellter. Bis zur Pensionierung war er in diesem Beruf tätig. Erst dann erhielt er als kleinen Ausgleich für die entgangenen beruflichen Möglichkeiten eine Rente aus Deutschland. Er starb 1987 nach langer Krankheit.

Seine Zwillingsschwester Hilde verließ Deutschland 1937 und gelangte in die USA. Dort konnte sie zwar in ihrem Beruf als Ärztin arbeiten, doch glücklich scheint sie nicht geworden zu sein. Sie blieb alleine und geprägt von ihren Emigrationserfahrungen. An ihren Bruder Ernst schrieb sie 1954: „All mein Streben ist darauf hinaus mir eine materielle Sicherheit zu schaffen, damit ich niemanden in der Welt je um Hilfe bitten muss, da ich nie gelernt habe, zu glauben, dass irgend wer gerne etwas für mich täte.“ Schon 1960 starb sie an Krebs.

Obwohl Hilde – nicht zuletzt geprägt durch die deutsch-nationale Erziehung ihres Vaters – den Staat Israel sehr kritisch sah, bewunderte sie Ernst, der sich mit aller Kraft für den Aufbau des Landes einsetzte und sich ganz und selbstlos der Arbeit im Kibbuz widmete.

Ernst war erst fünfzehn Jahre alt gewesen, als er Kleve 1938 fluchtartig über die niederländische Grenze verließ. Mit Hilfe Dritter gelangte er schließlich nach Israel, wo er den Namen Chanan Leshem annahm. Chanan Leshem mit seiner zweiten Ehefrau Chava und seinem ältesten Sohn Yoram, 1952_705

Chanan Leshem mit seiner zweiten Ehefrau Chava und seinem ältesten Sohn Yoram, 1952

Zunächst ging er als Freiwilliger zur jüdischen Brigade und diente später auch bei den israelischen Streitkräften (IDF). Das Leben im Kibbuz war sehr hart und entbehrungsreich. Bei allem Idealismus kostete es auch seinen Preis. Zwei Ehen scheiterten und am Ende seines Leben war er enttäuscht und gebrochen. Nach Auskunft seiner Enkelin erschoss er sich 1984 mit seiner eigenen Waffe, auch wenn offiziell von einem Unfall gesprochen wurde.

Kurt arbeitete – nun völlig erblindet – in England als Telefonist bei der JCA (Jewish Colonization Association) und lebte in bescheidenen Verhältnissen. Er übernahm es, die Ansprüche auf Rückerstattung und Wiedergutmachung geltend zu machen, von denen die Geschwister nichts wissen wollten. Die langwierigen Auseinandersetzungen mit den deutschen Behörden, aber auch die dazu notwendige Beschäftigung mit der Vergangenheit belasteten ihn. 1953 besuchte er Kleve und berichtete Ernst ausführlich über seine Eindrücke. Zugleich bat er – mit mäßigem Erfolg – über die Zeitung um Fotos und Erinnerungsgegenstände des Kaufhauses Leffmann. Er starb 1982.

Über Briefe und gelegentliche Besuche hatten die Geschwister Verbindung gehalten, die dann aber abbrach. Doch das Bedürfnis, die eigenen Wurzeln zu kennen, blieb so stark, dass es schließlich die Enkel waren, die über einen Online-Familienstammbaum in Kontakt kamen und nun stückweise ihre gemeinsame Geschichte zusammensetzen – und Kleve als Stammort der Familie ist hierbei immer noch von Bedeutung.

Helga Ullrich-Scheyda

Der Text erschien am 7. November 2015 im Klever Lokalteil der NRZ